Es ist Mittwoch Abend, ich sitze auf meinem Bett im Tagungshotel und lasse grad die letzten Tage Revue passieren. Doch von vorne.
Ich hatte das große Glück, noch einen Platz für die Ausbildung als Kriseninterventionshelferin zu bekommen. Das sind die Leute, die Angehörige betreuen, die gerade einen Menschen verloren haben oder ein traumatisches Erlebnis hinter sich haben (bspw. Amoklauf o.ä.). Kriseninterventionshelfer kümmern sich um die körperlich unverletzten Leute, die zum Beispiel Augenzeugen oder Beteiligte bei einem Unfall waren.
Man fasst das auch gern unter dem Begriff ‚Psychosoziale Notfallversorgung‘, kurz PSNV, zusammen.
Ich bin seit Freitag Abend im DRK-Institut für Bildung und Kommunikation und lerne, wie man mit Betroffenen spricht, was zu beachten ist, wie ein Betreuungsgespräch ablaufen kann und vor allem, welche Themen da so vorkommen. Die Ausbildung selbst ist sehr spannend und vermittelt viele Dinge, die ich im Vorfeld nicht wusste, aber es gibt auch Themen, die nicht neu für mich sind.
Allerdings merke ich, dass die Themen, die wir behandeln, etwas mit mir machen. Sie bewegen mich und bewegen Dinge im Kopf, die für mich entweder vorher nicht da waren oder die grade Grenzen verschieben. Vor allem aber führen sie mir meine eigenen Grenzen grade sehr vor Augen. Und das ist gut und richtig.
Ich musste den Seminarraum am Montag zweimal verlassen, da ich von meinen eigenen Trauergefühlen, die natürlich noch da sind, überrollt wurde. Die Dauerbeschäftigung mit dem Thema Tod und Sterben führt dann doch dazu, dass manche Gedanken sich ihren Weg suchen und dann einfach akut da sind. Das ist aber völlig in Ordnung und wäre seltsam, wenn das nicht so wäre. Das erste Trauerjahr ist halt noch nicht vorbei und es ist halt noch recht ‚frisch‘, wenn man so will.
Das Gespräch mit dem Dozenten der Unterrichtseinheit, bei der ich den Raum verlassen hatte, hat mich kurz danach aufgesucht und kurz mit mir gesprochen. Das Feedback, das ich zum Umgang mit meiner eigenen Trauer bekommen habe, hat mir gut getan und mir gespiegelt, dass ich da einen guten Weg gefunden habe, damit umzugehen.
Der gestrige Tag war nochmal schwer, weil einfach in meinem Kopf so unglaublich viel passiert ist. Allerdings waren da, wenn auch teils zufällig, aber dadurch umso schöner, liebe Menschen, die mir in dem Moment einfach gut getan haben. Mit zweien konnte ich kurz sprechen, was mir im Herzen echt gut tat, ein dritter hat mir später schreibender Weise den Kopf frei gepustet. War in dem Moment genau richtig, weil ich heute morgen mit recht guter Laune aufgestanden bin. Meine positive Grundeinstellung war wieder ein Stück weit zurück und ich fühlte mich von den Themen nicht mehr so erdrückt.
Gut war heute auch der Teil zum Thema Achtsamkeit, Selbstreflexion und Psychohygiene. Das hat mir etwas mehr Ruhe gegeben und vor allem die Sicherheit, dass das, was ich da mache, tatsächlich das Richtige ist. An dieser Stelle nochmals ein dickes Dankeschön an einen lieben Freund, ohne den ich gar nicht wüsste, dass es sowas wie PSNV gibt. Er hatte da genau den richtigen Gedanken und ich fühle mich in dem Bereich gut aufgehoben und angekommen.
Ich stelle jedoch fest, dass ich in den letzten Tagen etwas stiller geworden bin. Normalerweise bin ich ja ein doch sehr extrovertierter Mensch, erzähle gern und viel und bin auch gern mal etwas laut. Ich habe selbst gemerkt, dass mein Sprachstil sich verändert hat. Ich bin leiser und etwas langsamer geworden. Man könnte es bedächtig nennen, aber ich finde, das Wort passt nicht so ganz. Ich führe es darauf zurück, dass mein Gehirn grad für mich alles sortiert und dafür die Energie braucht, die ich sonst eher nach außen gebe. Ich denke nicht bewusst darüber nach, was diese Ausbildung bei mir auslöst, aber ich spüre, dass da was passiert. Und es fühlt sich nicht negativ an. Es ist also nicht schlimm, sondern ein normaler Prozess, der da grad von statten geht.
Ich hatte heute kurzzeitig das Gefühl, dass ganz langsam alle Teile an ihren Platz fallen, wo sie hin müssen. Aber ich denke, das ist noch zu früh. Es fehlen noch zwei Seminartage und die Prüfung am Samstag. Ich schätze, die letzten beidem Tage werden auch nochmal Dinge mit mir tun, vielleicht aber nicht in dem Ausmaß wie die vergangenen Tage.
Ich bin gespannt, was noch mit mir passiert.